Dr. Dietmar Molthagen ist seit dem 1. Juni 2023 der neue Landesgeschäftsführer der SPD Hamburg. Zuvor war er als Leiter des Julius-Leber-Forums für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein tätig. Im Interview berichtet er, wie er sich bisher eingelebt hat und mit welchen Plänen und Ideen er in die Zukunft blickt.
Lieber Dietmar, seit dem 1. Juni bist Du in der Landesorganisation. Wie hast Du Dich zurechtgefunden?
Meine Kolleginnen und Kollegen haben mich sehr gut empfangen und eingearbeitet, gleiches gilt für unsere Landesvorsitzenden Melanie Leonhard und Nils Weiland und ihre Stellvertreter*innen. Dafür danke ich allen sehr! Und meine laufende Tour durch die Kreisvorstände sowie das Kennenlernen der Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise verschaffen mir einen guten Einblick in die vielfältige Hamburger SPD.
Gab es schon besondere Momente?
Besondere Momente gab es schon einige: das erste Mal bei „Peter Tschentscher LIVE“, der Anblick des beeindruckenden SPD-Trucks beim CSD oder das Aufziehen der Flaggen auf dem Dach des „KuSchu“. Hervorheben möchte ich aber meinen ersten Landesparteitag in neuer Rolle am 3. Juni. Dabei meine ich gar nicht den Überraschungsbesuch von Bundeskanzler Olaf Scholz oder die gute Rede von Peter Tschentscher, sondern dass ich von der Bühne einen Blick hatte auf die vielen Tische mit den Genossinnen und Genossen in all ihrer Verschiedenheit und verbunden im Engagement für eine bessere und sozialere Stadt Hamburg – das hat mich sehr bewegt.
Was unterscheidet Deine neue Rolle von früheren Tätigkeiten?
Ich habe viele Jahre für die Friedrich-Ebert-Stiftung gearbeitet, die letzten fünf Jahre als Leiter des norddeutschen Regionalbüros in Hamburg. Die Stiftung gehört zur sozialdemokratischen Familie und bietet politische Bildung und Beratung an. Jetzt bei der Landesorganisation geht es für uns Hauptamtliche darum, den Rahmen dafür zu schaffen, dass sozialdemokratische Politik gemacht wird von denen, die dafür demokratisch legitimiert sind. Ich arbeite jetzt mehr nach innen in die Partei hinein und lerne viel über den Maschinenraum der Parteiarbeit. Gemeinsam ist beiden Tätigkeiten aber, dass die Ergebnisse am Ende in die Gesellschaft hineinwirken müssen. Zwei wichtige Fragen für uns müssen also immer lauten: Wie erreichen wir mit unseren Inhalten die Hamburgerinnen und Hamburger und wie verbessern wir das Leben der Menschen in dieser Stadt Schritt für Schritt?
Wie bewertest Du die Situation der SPD Hamburg? Wo liegen in den kommenden Jahren die Herausforderungen?
Die SPD Hamburg ist eine gesunde und tatkräftige Partei, das begeistert mich und stimmt mich optimistisch für die vor uns liegenden Wahlkämpfe. Wir sind gesund in dem Sinne, dass wir eine breite Mitgliedschaft und viele großartige Senatsmitglieder sowie Abgeordnete haben. Wir sind tatkräftig, weil unsere Spitzenleute jeden Tag Regierungsverantwortung für die Stadt tragen und unsere Basis in den vielen Gliederungen und Arbeitszusammenhängen aktiv ist. Die SPD Hamburg bearbeitet alle Politikfelder und ist in allen Stadtteilen präsent. Insofern ist der Slogan „Die ganze Stadt im Blick“ Versprechen und Realität zugleich.
Die wichtigsten Herausforderungen sind natürlich die Wahlkämpfe zu Bezirken und Europa in 2024 und dann zur Bürgerschaft und dem Bundestag in 2025. Das ist eine lange und arbeitsreiche Strecke, die vor uns liegt. Wichtig ist dabei, dass unser Atem lang ist, dass wir nach innen mit Leidenschaft und Ideen um die besten Konzepte ringen und dass wir nach außen geschlossen und gutgelaunt den Wählerinnen und Wählern gegenübertreten. Die Rahmenbedingungen sind – zumindest im Sommer 2023 – nicht optimal: viele Menschen sind verständlicherweise verunsichert angesichts des andauernden Krieges in der Ukraine, der großen Herausforderung des Klimaschutzes und des ausbleibenden Wirtschaftswachstums. Zugleich dominieren in der Wahrnehmung der SPD-geführten Bundesregierung Streit und gegenseitige Blockade und dies überlagert all das, was die Ampel durchaus beschließt und verändert. Deswegen meine ich beides ernst, was ich gerade gesagt habe: Wir brauchen gute Ideen für Hamburg in unseren Wahlprogrammen, die wir den Wählerinnen und Wählern anbieten. Wir brauchen aber auch Zuversicht und gute Laune, denn niemand wird uns die Bezirke, die Stadt oder das Land anvertrauen, wenn wir uns selbst nicht vertrauen.
Welche Schwerpunkte willst Du als Landesgeschäftsführer setzen?
Meine persönliche Leidenschaft ist es, politischen Dialog zu ermöglichen. Dazu arbeite ich auch nebenberuflich als Lehrbeauftragter, Salongastgeber und Buchautor, und das will ich auch in die SPD Hamburg einbringen. Ich glaube, wir haben das Potenzial, unsere Inhalte noch stärker in die Stadt zu tragen – sei es mit öffentlichen Veranstaltungen der Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise, sei es mit mehr und ansprechenden digitalen Inhalten, sei es mit Bürgerfesten und Angeboten zum Miteinander ohne große politische Zuspitzung. Wer dazu gute Ideen hat, findet bei mir immer ein offenes Ohr.
Mir ist bewusst, dass die Ressourcen der Landesorganisation endlich sind, aber in erster Linie sehe ich meine Rolle als die eines Ermöglichers von politischer Diskussion und der Umsetzung politischer Ideen in Maßnahmen, die den Menschen unserer Stadt nutzen.
Die Parteiarbeit entwickelt sich stetig weiter, mobile und digitale Elemente gewinnen an Bedeutung. Gleichzeitig bleibt der analoge Austausch bedeutsam. Wie kann es gelingen, die SPD Hamburg für die Zukunft aufzustellen?
Das ist ein wichtiger Punkt! Zukunftsfähig heißt mehr als Digitalisierung, aber ohne Digitales gibt es keine Zukunft für Parteien. Wir haben ja alle in den langen Pandemiemonaten gelernt, wie viel auch digital geht und dass heute viele Sitzungen im Wechsel analog und digital oder hybrid stattfinden, ist ein großer Fortschritt, der die Vereinbarkeit von politischem Engagement und Familie und Beruf fördert. Digitale Zusammenarbeit kann Zeit sparen und Abstimmungen erleichtern – denken wir nur an den Einsatz der Abstimmungssoftware bei unseren Parteitagen. Digitalisierung der Parteiarbeit muss also weiter vorangebracht werden, ohne diejenigen abzuhängen, die dabei nicht mitmachen möchten oder können. Insofern brauchen wir auch in Hamburg immer eine Mischung aus digitalen und analogen Angeboten für unsere Mitglieder.
Zur Zukunftsfähigkeit der SPD gehört aber auch, vielfältige Beteiligungsmöglichkeiten bereit zu halten. Das sind neben dem Distrikt auch alle unsere thematischen Kreise. Diese dürfen aber nicht in Formalitäten und Personaldiskussionen erstarren. In der Friedrich-Ebert-Stiftung habe ich gute Erfahrungen mit zeitlich begrenzten Arbeitsgruppen gemacht, die sich für sechs oder neun Monate zusammenfinden, um ein bestimmtes Politikfeld zu bearbeiten und zum Beispiel ein Positionspapier zu schreiben. So etwas kann ich mir gut auch in der SPD vorstellen, denn es muss ja nicht immer alles auf Dauer stattfinden und wir wissen aus der Engagementforschung, dass viele Menschen eher zu einem zeitlich befristeten und konkreten Engagement bereit sind als zu einem mehrjährigen und einem eher allgemeinen Thema.
Schließlich ist mir ein guter zwischenmenschlicher Umgang wichtig. Gerade wenn man schon lange in der SPD zusammenarbeitet, kann man es leicht vergessen, aber zu einer Sitzung mit einem neuen Gesicht gehört eine Vorstellungsrunde. Auch unsere Umgangsformen müssen einladend und freundlich sein, wenn wir für neue Mitglieder, für Unterstützer*innen im Wahlkampf und am Ende für die Menschen unserer Stadt attraktiv sein wollen. Auch wenn man miteinander streitet und vielleicht auch um eine bestimmte Position kämpft, müssen wir anständig miteinander umgehen. Schließlich sind wir alle Bestandteil der großen und großartigen sozialdemokratischen Bewegung, die in ihrer 160-jährigen Geschichte wahrlich viel erreicht hat und der politische Gegner sitzt nie innerhalb, sondern immer außerhalb der SPD.
Du hast Dich in Deinem Werdegang intensiv mit dem Kampf gegen Rechtsextremismus auseinandergesetzt. Demokratiefeinde finden im Moment viel Gehör und auch Zustimmung in Umfragen. Welche Lehren können wir als SPD daraus ziehen?
Die wichtigste Lehre ist gestern, heute und morgen der aus der bewegten SPD-Geschichte wohlbekannte Grundsatz: „Kein Fußbreit den Faschisten!“ In Gefahr ist unsere Gesellschaft, wenn Rechtsextremisten politische Verantwortung übernehmen. Das zeigen auch die Erfahrungen in unseren Nachbarländern wie zum Beispiel Österreich oder Italien: Wenn sie regieren, verschlechtert sich das Leben von vielen Menschen, meist beginnend bei Geflüchteten, eingewanderten Menschen, alleinerziehenden Frauen, queeren Menschen, Juden und Muslimen. Insofern fühle auch ich mich äußerst unwohl damit, dass die AfD zuletzt die Landratswahl in Sonneberg und eine Bürgermeisterwahl in Sachsen-Anhalt gewonnen hat. Das bedroht nicht im Grundsatz die Demokratie in Deutschland, aber es ist überhaupt nicht gut.
Gegenüber dem aktuellen Höhenflug der AfD in bundesweiten Umfragen bin ich entspannter. Umfragen zur Mitte der Legislatur sind wenig aussagekräftig – im September 2019 ergab das ZDF-Politbarometer für Union und Grüne je 27% und für die SPD 13%. Wie die Bundestagswahl zwei Jahre später ausgegangen ist, wissen wir. Bei den Umfragen ärgert mich aktuell, wie wichtig sie kommunikativ genommen werden. Die Sitzanzahl der AfD im Bundestag oder in der Hamburger Bürgerschaft bleibt bei jeder neuen Umfrage gleich. So lange niemand mit der AfD koaliert, hat diese Partei nur so viel Macht, wie wir alle ihr zugestehen. Dass die SPD in irgendeiner Form mit der AfD zusammenarbeitet, ist keine Sorge von mir. Die widersprüchlichen Aussagen des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz zum Verhältnis zur AfD haben mich hingegen schwer irritiert. Gut, dass es dagegen auch innerhalb der CDU lauten und schnellen Widerspruch gab.
Was lernen wir als SPD aus all dem? Erstens: Es nützt nichts, aus Angst vor der AfD die eigene Programmatik für Forderungen der Rechtspopulisten zu öffnen. Wer immer das versucht hat, stärkte im Ergebnis immer die Rechtspopulisten. Denn mittlerweile folgt ein erheblicher Teil der AfD-Anhänger*innen der Partei, weil sie gut und richtig finden, was sie will. Ja, es gibt noch Protestwähler*innen der AfD, um die wir kämpfen sollten, aber nicht, indem wir uns dem falschen Gesellschaftsbild der AfD annähern. Zweitens: Unsere Brandmauer gegen Rechts muss stehen. Das ist anstrengend, wenn man als Sozialdemokrat einen vermeintlich unpolitischen Antrag der AfD zum Beispiel für eine Sporthalle ablehnt. Dann muss man begründen, dass man nicht gegen eine Sporthalle ist, aber nicht mit einer Partei stimmt, die eine Gesellschaft ohne Menschenrechte für alle, ohne parlamentarische Repräsentation und ohne nennenswerten Sozialstaat will. Und man muss den Antrag für die Sporthalle – wenn diese denn sinnvoll ist – selbst noch einmal einbringen. Drittens bleibt richtig, was Olaf Scholz oder Peter Tschentscher immer wieder sagen: Wenn die SPD gut regiert und „soziale Politik für Dich“ dabei herauskommt, hilft das auch gegen rechtspopulistische Bewegungen. Diese brauchen immer die Unzufriedenheit der Menschen und Konflikte, die sie zuspitzen können („wir gegen die“). Insofern sollten wir in Hamburg gut und menschenorientiert regieren und wir dürfen als SPD auch durchaus betonen, wenn sich etwas verbessert und Politik wirkt.