Taiwan: Modern, faszinierend und bedroht

Hamburgs Juso-Vorsitzender Tom Hinzmann hat als Teil einer Delegation Taiwan bereist. Hier erzählt er von seinen Erfahrungen.

35 Grad Celsius, 75 Prozent Luftfeuchtigkeit, leicht bewölkt. Als sich die Ausgangstüren des Terminal 1 in Taipeh-City öffnen, wird mir endgültig bewusst, dass ich europäischen Boden nun wirklich verlassen habe. Selten war ich auf eine Reise so gut vorbereitet wie auf diese: Seit Jahren setze ich mich als Hobby mit dem Land Taiwan und dessen Geschichte, Kultur und Politik auseinander.

Auslöser waren Bekannte aus Taiwan, die ich während meines Auslandssemesters 2018 in Riga (Lettland) kennengelernt habe. Damals spielte Taiwan in der europäischen Medienlandschaft nur eine untergeordnete Rolle und war auch mir wenig präsent. Doch viele gemeinsame Abende mit den Freunden erweckten mein Interesse an dieser Insel und ihrer Bevölkerung. Rund 25 Millionen Einwohner*innen, eine wechselvolle Geschichte und Mehrsprachigkeit (neben Chinesisch und Englisch wird hier ein eigener Dialekt, Taiwanisch, gesprochen); dazu wirtschaftlich äußerst erfolgreich in unzähligen Industriezweigen wie der Chiptechnologie und mit einem der Topplätze im Demokratieindex (Quelle: The Economist; Taiwan belegte 2022 den 10. Platz), zuletzt sogar vor Deutschland – das sind nur einige spannende Fakten über Taiwan.

Sicherheitspolitik in der Taiwan-Straße

Ausgangspunkt meiner Reise im Juni 2023 war eine Einladung des taiwanesischen Außenministeriums zu einer zweiwöchigen Tour mit dem Thema „Sicherheitspolitik in der Taiwan-Straße“. Unsere Delegation bestand aus 14 Personen aus verschiedenen europäischen Staaten wie der Ukraine oder Großbritannien und war nicht nur vom Alter sehr gemischt: Vom ehemaligen Sicherheitsberater des slowenischen Verteidigungsministers bis zum Universitätsprofessor brachte unsere Gruppe auch beruflich eine große Vielfalt mit.

In den folgenden zwei Wochen besuchte unsere Delegation eine Reihe von Nichtregierungsorganisationen und staatlichen Institutionen, mit deren Vertreter*innen wir diskutierten und uns vernetzten. Am intensivsten blieb mir der Besuch bei der NGO „Kuma Academy“ im Gedächtnis. Durch die chinesische Bedrohung gegenüber Taiwan entsteht in der Zivilbevölkerung seit Jahren ein Umdenken hinsichtlich der eigenen „Resilienz“ in Krisenzeiten. Damit ist die Fähigkeit gemeint, Krisensituationen wie Erdbeben aber auch kriegerische Angriffe als Zivilist ohne größere Schäden bewältigen zu können. Die Kuma Academy bietet für alle Bewohner*innen verschiedene Ausbildungsprogramme an, die die eigene Resilienz stärken sollen. Angefangen bei Erste-Hilfe-Kursen über den Umgang mit Medien bis hin zum Thema Cybersicherheit.

Umgang mit Desinformation

Interessant: Die Bedrohung durch „Fake News“ und die Frage, wie man damit umgehen kann, spielt in Taiwan eine große Rolle. Die 2019 gegründete Organisation „Doublethink Lab“ setzt sich deshalb das Ziel, die Demokratie in Taiwan durch Identifizierung und Aufklärung ausländischer – insbesondere chinesischer – Desinformationskampagnen zu stärken. Dies ist essenziell, da im nächsten Jahr in Taiwan die Präsidentschaftswahlen anstehen. Spätestens nach den Erfahrungen aus dem US-Wahlkampf 2016 mit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten stehen die Auswirkungen von ausländischen Desinformationskampagnen auf Wahlen im Fokus der sicherheitspolitischen Beobachtungen.

Die Präsidentin Taiwans Tsai Ing-wen von der liberalen Demokratischen Fortschrittspartei möchte Taiwan perspektivisch in die Unabhängigkeit führen und setzt sich mit aller Kraft für eine Stärkung und Aufnahme von diplomatischen Beziehungen zu anderen Staaten ein. Denn durch die weltweite Etablierung der „Ein-China-Politik“ durch die Volksrepublik China erkennen nur wenige Staaten Taiwan als eigenständigen Staat an. China lehnt die Positionen der Demokratischen Fortschrittspartei ab und versucht, mit Militärmanövern in der Taiwan-Straße Druck auf die jetzige Regierung aufzubauen. Die rechtsnationale Partei Kuomintang, früher bekannt durch den diktatorisch regierenden Präsidenten Chiang Kai-shek, strebt stärker in die Richtung einer Annäherung an China. Das ist insofern erstaunlich, als die Ursprünge der Kuomintang sowie der heutigen Existenz Taiwans auf den verlorenen chinesischen Bürgerkrieg gegen die kommunistische Partei und die Flucht der Nationalisten und Republikaner auf die Insel Taiwan beruhen. Zu den Präsidentschaftswahlen 2024 werden die Karten auf der Insel neu gemischt: Die amtierende Präsidentin wird nicht mehr antreten.

Kontakt mit Menschen und Kultur

Neben dem politischen Austausch nutzte ich jede freie Minute, um mit den Menschen vor Ort und mit ihrer Kultur in Kontakt zu kommen. Die Nachtmärkte mit ihrer kulinarischen Palette an Gerichten bieten dazu eine hervorragende Möglichkeit. Bei einem Wassermelonen-Smoothie und frisch zubereiteten Reisgerichten tauschten wir uns als Delegation mit den Menschen vor Ort über Alltägliches aus. Weitere Programmpunkte unserer Reise waren der Besuch eines konfuzianischen und eines daoistischen Tempels sowie einer konfuzianischen Akademie. Taipeh bietet als Hauptstadt Taiwans zwischen seinen innerstädtischen Wolkenkratzern und historischen Quartieren ein kulturelles Angebot für mehrere Wochen. Ich habe bisher wenige Großstädte kennenlernen dürfen, die einen so eng vernetzten und digitalisierten ÖPNV und einen so hohen Grad an Sauberkeit aufweisen. Gerade mit Blick auf die Zukunft des Verkehrs bieten sich hier sicher auch für uns in Westeuropa spannende Anknüpfungspunkte.

Nach zwei Wochen endete unsere Reise. Wir Mitglieder der europäischen Delegation werden sicher miteinander in Kontakt bleiben. Wir wurden herzlich von den Menschen vor Ort empfangen und aufgenommen. Ich hoffe, eines Tages wieder nach Taiwan reisen zu können, um nicht nur das Land noch besser kennenzulernen, sondern auch die Menschen wiederzutreffen, die mir während dieser Reise ans Herz gewachsen sind.

Der Autor

Tom Hinzmann ist Vorsitzender der Jusos Hamburg und Mitglied der Bezirksversammlung Wandsbek.

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