FindingPlaces, Stadtplanung für alle

FindingPlaces, Stadtplanung für alle – Engagierte Hamburger suchen nach Flächen für mögliche zukünftige Flüchtlingsunterkünfte.

Finding Places

„Wäre es machbar, künftig nur noch Flüchtlingsunterkünfte mit höchstens 300 Bewohnern zu planen? Und wäre es zusätzlich möglich, zwischen den Quartieren einen Mindestabstand von einem Kilometer einzuhalten?“ Das fragt Sebastian Kempkens in einem ZEIT-Artikel vom 3. April 2016 und gibt auch gleich die in Hamburg oft zu hörenden Antworten: „Das geht, behaupten die Bürgerinitiativen. Man müsse nur wollen. Das geht nicht, entgegnet der Senat. Hamburg habe nicht genug Platz für so viele kleine Standorte.“

Mal angenommen Kempkens hat recht mit der Annahme, dass beide Seiten den Beweis für ihre Position bisher schuldig geblieben sind. Mal weiter angenommen, eine Seite hat objektiv Recht, kann nur ihre Position nicht beweisen, weil die Materie schlicht zu komplex ist. Diese Seite würde sich dann wahrscheinlich ziemlich freuen, wenn ihr ein Instrument zur Verfügung stünde, dass mit der Intransparenz aufräumt und die Sache so darstellt, so dass alle sie verstehen können.

Ich glaube nämlich, dass genau das gerade passiert ist.

Am 11. Mai wurde in der HafenCity Universität das interaktive Stadtmodell „FindingPlaces“ vorgestellt.

Das Podium mit Olaf Scholz, Katharina Fegebank, Anselm Sprandel und den beteiligten VertreterInnen der Wissenschaft zeigten sich sichtlich begeistert über die Möglichkeit, die Fakten endlich für alle transparent machen zu können. Es lag Pioniergeist und Zuversicht in der Luft, man sprach von der einzigartigen Verbindung von anwendungsorientierter Forschung und demokratischer Bürgerbeteiligung.

Die andere Seite, vertreten durch den Sprecher der Einwohner-Initiativen, Klaus Schomacker, hatte sichtlich schlechte Laune. Das könnte daran liegen, dass er Grund hat, sich über so viel Transparenz zu ärgern.

Was ist FindingPlaces?

Man stelle sich einen 2×2-Meter großen Tisch vor, auf den die Karte eines Bezirks projiziert wird. Um den versammeln sich 30 Leute, die idealerweise in diesem Bezirk zu Hause sind. Ganz demokratisch einigt man sich dann auf den Ausschnitt eines Stadtteils, den die Gruppe näher untersuchen will. Wenn das passiert ist, gehen alle Teilnehmer an einen zweiten Tisch. Hier wird nun der ausgesuchte Stadtteil angezeigt, so dass jedes Grundstück gut zu sehen ist; etwa wie bei einer Nahansicht im Sattelitenmodus von Google Maps. Auf einem Monitor wird angezeigt, ob hier schon Flüchtlingsunterkünfte existieren oder in Planung sind. Jetzt können Legosteine in verschiedenen Größen, je nach Größe der vorgesehenen Unterkunft, auf ein Grundstück gelegt werden. Auf einem Monitor wird anschließend angezeigt, was die Stadt über dieses Grundstück weiß. Wem gehört es, ist es Bauland, gibt es harte Kriterien gegen eine Bebauung (Friedhof), gibt es weiche Kriterien, die einer einfachen Lösung entgegenstehen (Hochwasserschutz, Landschaftsschutz, Altlasten, Gewerbegebiet etc.). Bei weichen Kriterien, ist eine Interessensabwägung möglich. Dabei ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Gruppe am Tisch mit ihrer Ortskenntnis die Sache anders bewertet, als die Stadt das tun würde. Das beantwortete dann auch die Frage von Herrn Schomaker „… wieso ein System, das mit den Daten der Stadt gespeichert wird, Flächen finden kann, die die Stadt nicht kennt.“ Die Stadt kann und will jetzt bei Abwägungsfragen den Sachverstand der AnwohnerInnen nutzen. Es gab vor laufenden Kameras die Zusage, dass alle Workshopergebnisse binnen 14 Tagen verbindlich geprüft und die Ergebnisse anschließend veröffentlicht werden. Auch Grundstücke, die schon von der Stadt begutachtet und abgelehnt wurden, werden erneut vom Zentralen Koordinierungsstab Flüchtlinge (ZKF) angeschaut, versprach Anselm Sprandel, der Leiter des ZKF.

Umverteilung leicht gemacht?

Angenommen die TeilnehmerInnen erfahren über den Monitor, dass in dem ausgewählten Stadtteil schon eine Wohnunterkunft für 800 Personen in der Planung ist und entscheiden sich, dezentrale Unterbringungsformen zu prüfen. Sie können dann statt einen 800-Personen Legoblock kleine Steine, z.B. als 50-200er Einheiten im Stadtteil platzieren und die darunterliegenden Flächen prüfen. Dabei erfahren sie in jedem Schritt, wie die baurechtliche Situation ist, ob es schützenswerte Arten wie die legendäre Tellerschnecke zu erhalten gilt, oder ob ein Gelände im Überschwemmungsgebiet liegt. Olaf Scholz kommentierte diese Möglichkeit gut gelaunt mit dem Satz „Damit muss die Tatsache, dass die Welt wirklich kompliziert ist, für niemanden mehr ein Geheimnis bleiben.“

Veni, vidi …

Es kursierten am Eröffnungsabend mehrere Geschichten darüber, wie es zur Kooperation zwischen der HCU und dem renommierten MIT kam. Meine Lieblingsversion handelt von einem Bürgermeister Olaf Scholz, der vor zwei Jahren das MIT Media Lab in Boston besuchte. Dort wurde ihm das City Scope Modell vorgestellt. Er kam, sah und wollte es auch.

Nun hat er es bekommen. Die HCU hat ein schon vorher beeindruckendes MIT-Projekt noch mal erheblich weiterentwickelt, was Detailtreue und Datenmengen angeht. Stadtplanung hat plötzlich ein ganz neues Beteiligungsformat. Ich bin gespannt, was wir Hamburgerinnen und Hamburger daraus machen.

Tim Petschulat ist seit 2013 Landesgeschäftsführer der SPD Hamburg. Vorher war er für die Friedrich-Ebert-Stiftung in verschiedenen Funktionen tätig, zuletzt als Leiter des FES-Büros im Jemen. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Winterhude.

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