Der Krieg in der Ukraine bestimmt die Nachrichten und auch die Politik. Wir müssen uns an die Tatsache gewöhnen, dass die von Olaf Scholz in seiner richtungsweisenden Bundestagsrede beschriebenen Zeitenwende für uns alle einen Abschied bedeutet. Über die vergangenen Jahrzehnte hat sich in Europa und der Welt eine Sicherheitsarchitektur entwickelt, die durch den Krieg in der Ukraine in ihren Grundfesten erschüttert wurde. Für Deutschland ergeben sich aus dieser Situation Verantwortlichkeiten, die bisher so noch nie gefordert waren. Wir müssen uns unserer historischen Verantwortung stellen und an der Errichtung einer neuen Sicherheitsarchitektur mitwirken.
Praktisch gesehen stehen wir vor der Herausforderung, eine Energienotlage im Herbst und Winter mit allen Kräften zu verhindern. Jeder Kubikmeter Gas, den wir nicht aus Russland importieren müssen, ist ein kleiner Erfolg. Überdies müssen wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten dafür sorgen, dass weder Betriebe zum Stillstand kommen, noch dass die Menschen in unserem Land in finanzielle Bedrängnis geraten. Gerade die Mitbürgerinnen und Mitbürger mit kleinen Einkommen haben unseren besonderen Schutz verdient.
Der Krieg berührt auch unser Verhältnis zu China. Wie wir mit autokratischen Staaten umgehen, ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Dabei ist entscheidend, dass unsere Position beim Thema Menschenrechte unmissverständlich bleibt. Darüber hinaus besteht die Herausforderung darin, bei wichtigen Lieferketten, die etwa Rohstoffe oder Medikamente betreffen, Unabhängigkeit von China und anderen autokratischen Staaten zu erreichen, damit wir weniger erpressbar sind. Trotzdem muss es unsere Aufgabe sein, weltweit freien Handel und eine gerechte internationale Arbeitsteilung so weit es geht aufrechtzuerhalten, da sie eine wichtige Grundlage unseres Wohlstandes sichern.
Als wäre diese Gemengelage nicht schon komplex genug, kommt zu den diplomatischen und volkswirtschaftlichen Fragen im Umgang mit autokratischen Staaten noch deren Rolle beim Erreichen internationaler Klimaziele. Es muss gelingen, CO2-Obergrenzen und verbindliche Einsparpläne auch für jene Staaten verbindlich zu machen, die nicht zu den natürlichen Partnern Deutschlands und der EU gehören. Denn verhandelbar ist der Klimawandel heute schon lange nicht mehr. Er ist vielmehr täglich erlebbare Realität.
Es ist deswegen unsere dringende Aufgabe, die Klimaziele zu erreichen, auch wenn sie hoch gesteckt sind. Die Ausbaupläne für die Windenergie zum Beispiel sind so ehrgeizig, dass bei Ihrer Umsetzung schlicht nichts schiefgehen darf. Die finanziellen Anstrengungen, die hinter dieser Transformation der Wirtschaft stehen, brauchen eine gerechte Verteilung.
Die Transformation der Wirtschaft setzt jedoch auch Chancen frei. Der Arbeitsmarkt etwa kann profitieren – er spaltet sich seit Jahren jedoch auf in hoch- und geringqualifizierte Jobs, und die beiden Welten driften stetig auseinander. Es ist die Aufgabe von uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, jenen Menschen die Teilhabe an diesem neuen Arbeitsmarkt zu ermöglichen, denen die Fähigkeiten fehlen, um in der sich wandelnden Arbeitswelt bestehen zu können.
Der Autor
Metin Hakverdi ist seit 2013 Abgeordneter des Deutschen Bundestages und vertritt dort Wilhelmsburg, Bergedorf und Harburg.