Die Zeitenwende international und solidarisch gestalten

Berlin direkt: Der Bundestagsabgeordnete Niels Annen über die Umbrüche in der deutschen und europäischen Außen- und Verteidigungspolitik

Vor wenigen Wochen hat der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit für die Einrichtung eines Bundeswehr-Sondervermögens von 100 Milliarden Euro und die dafür nötige Grundgesetzänderung gestimmt. Die Investitionen in die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr sind richtig und überfällig. Der brutale Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat die europäische Sicherheitsordnung erschüttert und eine Zeitenwende in Europa eingeläutet – dies erfordert auch eine bessere Ausrüstung unserer Parlamentsarmee. Es ist gut, dass das Parlament nun fraktionsübergreifend dem Vorschlag von Bundeskanzler Olaf Scholz gefolgt ist.

In seiner historischen Rede im Deutschen Bundestag, nur drei Tage nach Beginn der Invasion, hat Olaf Scholz jedoch auch die globale Dimension der Zeitenwende dargestellt: Deutschlands Rolle in der Welt verändert sich. Die Anforderungen an unser Land, sich aktiv und solidarisch in der Welt zu engagieren, nehmen weiter zu. Deshalb muss die Zeitenwende international verstanden und gestaltet werden.

Dies zeigen insbesondere auch die indirekten Folgen des Krieges, die weit über die Grenzen Europas hinaus auf der ganzen Welt spürbar sind. Steigende Preise für Benzin, Nahrungsmittel und Dünger stellen eine enorme Herausforderung für Länder des Globalen Südens in Lateinamerika, Afrika und Asien und im Nahen Osten dar. Schon vor dem Krieg gegen die Ukraine war ein dramatischer Anstieg der Nahrungsmittelpreise zu beobachten. Der Krieg hat dieses Problem nun verstärkt. Es droht die schwerste globale Ernährungskrise der vergangenen Jahrzehnte und sie wird vor allem die Ärmsten treffen. Ein Blick beispielsweise auf den arabischen Frühling zeigt, wie steigende Preise für Brot und andere Grundnahrungsmittel Proteste und damit Instabilität auslösen können. Putin benutzt diese Entwicklung absichtlich als Waffe. Seine perfide Strategie zielt darauf ab, Europa so unter Druck setzten und ein Ende der Sanktionen gegen Russland zu erwirken. Diese Strategie wird nicht aufgehen! Unsere Entwicklungsministerin Svenja Schulze hat deshalb ein Bündnis der G7-Staaten für globale Ernährungssicherheit ins Leben gerufen, um die Welt gegen die drohende Hungerkrise zu wappnen.

Eine intensivere Zusammenarbeit mit dem Globalen Süden wird in Zukunft noch wichtiger werden. Denn die Krisen und Herausforderungen, die wir als Weltgemeinschaft bearbeiten müssen, nehmen weiter zu. Dies dürfen wir trotz des Krieges mitten in Europa nicht aus den Augen verlieren. So hat die Klimakrise zum Beispiel in Teilen Afrikas bereits zu erhöhtem Konfliktrisiko geführt, weil Weideflächen schrumpfen und Wasser knapper wird. Außerdem sind viele Länder des Globalen Südens noch immer von den wirtschaftlichen Folgen der Covid19-Pandemie betroffen und darüber hinaus hochverschuldet.

Neben Investitionen in die Bundeswehr kommen also vor allem der Außen- und der Entwicklungspolitik bei der Gestaltung der Zeitenwende eine wichtige Rolle zu. Deutschland muss hier weiter auf die Entwicklungsländer zugehen und gemeinsame Lösungsansätze für die Herausforderungen der Zukunft entwickeln. Ob bei der Bekämpfung von Hungersnöten oder beim Schutz von Demokratie, Menschen- und Arbeitnehmerrechten – viele Akteure im Globalen Süden zählen auf unsere Unterstützung.

Der Autor

Niels Annen ist seit 2005 mit Unterbrechung Mitglied des Deutschen Bundestags für den Wahlkreis Eimsbüttel. Er engagiert sich vor allem für außenpolitische Themen, war von 2018 bis 2021 Staatsminister im Auswärtigen Amt. Seit 2021 ist er Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

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