“Wir müssen reden” – SPD-Abgeordnete auf Bildungsreise in das jüdische New York

Die Bürgerschaftsabgeordnete Vanessa Mohnke berichtet über ihren Besuch in New York im Rahmen einer Bildungsreise über die Vielfalt jüdischen Lebens.

Byalistoker Synagoge, NY

Gemeinsam mit einer Gruppe Hamburgerinnen und Hamburger und dem Antisemitismusbeauftragten der Freien und Hansestadt Hamburg, Stefan Hensel, durfte ich Anfang Februar zu einer Bildungsreise nach New York City aufbrechen, um die Vielfalt des jüdischen Lebens in all seinen Facetten kennenzulernen und mit unterschiedlichen jüdischen und nicht-jüdischen Organisationen ins Gespräch zu kommen.

Ziel der Reise war es, Menschen zusammenzubringen, die in ihrer täglichen Arbeit Eindrücke vermitteln und so dem Antisemitismus entgegenwirken können. Das ist dringend nötig. Die Reise, die ursprünglich bereits im November nach Israel gehen sollte, musste wegen der schrecklichen Gewalttaten vom 7. Oktober verschoben und nach New York verlegt werden.

Unendliche Vielfalt jüdischen Lebens

Die Vielfalt jüdischen Lebens in New York reicht von der LGBTQ-Synagoge, deren Mitglieder in den 80er- und 90er-Jahren durch HIV traumatische Verlusterfahrungen machen mussten über orthodoxe Gemeinden und die Reformsynagoge bis hin zu den sehr speziellen Lebensbedingungen ultraorthodoxer Satmar, hasidischer Juden in Williamsburg. Allein die Vielfalt in der Ausrichtung des Glaubens ist in New York schier unendlich.

Unser New Yorker Experte, Barry Judelman, hat uns zu allen unterschiedlichen Synagogen Hintergrundinformationen und viele Anekdoten geboten. Zum Programm der Reise gehörte aber nicht nur der Besuch der Synagogen, sondern auch der Austausch mit Organisationen, die sich für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus einsetzen.

Kampf gegen Antisemitismus

So zum Beispiel die Anti Defamation League (ADL), welche seit 1913 existiert und den Antisemitismus beobachtet. Die ADL hat eine eigene Analyseabteilung zu Monitoring von Antisemitismus im Netz. Außerdem bietet sie Fortbildungen für Strafverfolgungsbehörden an und ist Ansprechpartner für Politik und Medien, wenn es um verlässliche und datenbasierte Berichterstattung zu Antisemitismus geht.

Auch das “Leo Baeck Institute for the Study of German-Jewish History and Culture” im Center of Jewish History, in dem die Gruppe von Executive Director Markus Krah begrüßt worden ist, leistet wertvolle Arbeit zur Aufklärung. Das Leo-Baeck-Institut ist eine Forschungsbibliothek und ein Archiv mit Schwerpunkt auf der Geschichte der deutschsprachigen Juden, und hat Millionen von Seiten mit Dokumenten, Büchern und Kunstwerken aus seinen Sammlungen digitalisiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Auf dem Campus der Columbia University

Ein weiterer aufschlussreicher und zugleich nachdenklich machender Programmpunkt war der Besuch auf dem Campus der Columbia University, die derzeit mit antisemitischen Vorfällen von sich reden macht. Dort wurden wir von Campus-Rabbiner Jonah Hein empfangen, der sich eigentlich um die Arbeit mit jüdischen Studierenden kümmert. Seit dem 7. Oktober ist das Hillel, wie das Zentrum für jüdische Studierende heißt, Anlaufstelle und Schutzraum sowie vorübergehend sogar eine Mensa, weil Studierende nicht sicher auf dem Campus sind. Die Anfeindungen, mit denen sie zu kämpfen haben, erschüttern sie in ihrer Sicherheit so sehr, dass es Rabbiner Hain selbst kaum in Worte fassen konnte. Seine Berichte über tagtäglichen Antisemitismus und das Versagen der Unipräsidentin waren erschütternd. Als wir das Gebäude verlassen haben, ist unsere Gruppe geradewegs in eine anti-israelische und antisemitische Demonstration geraten. Viele der gebrüllten Sprüche sind in Deutschland verboten. Spontan haben wir die kleine Gruppe jüdischer Gegendemonstranten unterstützt. Ich bin sicher, dass dieses Erlebnis noch lange nachwirken wird. Diesen Hass haben die meisten der Teilnehmenden so noch nicht persönlich erfahren.

Tradition und Gedenken

Nach dem Gespräch, das wirklich alle Mitreisenden beeindruckt hat, sind wir zur konservativen Synagoge B’nai Jeshurun aufgebrochen, um mit Rabbiner Barry Waldman über seine Arbeit zu sprechen. Mit einer offenen und warmherzigen Ansprache hat Barry Waldman von der Arbeit in seiner von Vielfalt und Zuwendung geprägten Community gesprochen, die über die Grenze des eigenen Glaubens herausreicht und von Toleranz und Zuwendung geprägt ist. Auch das Hauptquartier von Chabad Lubawitsch in Brooklyn haben wir besucht. Gerade fand fort eine Frauenkonferenz statt, zu der mehr als 3000 Frauen von Chabad Lubawitsch aus der ganzen Welt zusammengekommen sind. Auch die Arbeit eines Schreibers, der die Torah mit einer Feder von Hand abschreibt und ausbessert, konnten wir uns ansehen. Das Viertel ist gesäumt von unzähligen Läden und Bäckereien, die von Judaica über Literatur bis zu den leckersten Gebäcken alles anbieten.

Ganz anders waren die Eindrücke bei den Satmar in Williamsburg. Die jüdische Gruppierung, die vielen aus der Serie “Unorthodox” bekannt ist, verfolgt sehr strenge Regeln des Zusammenlebens, die mit einer offenen und freien Gesellschaft kollidieren. Die sonst fast überall gelebte Offenheit ist hier ins Gegenteil verkehrt. Satmar sind eine geschlossene Community und auch dem Einfluss des staatlichen Bildungssystems versucht sich die Gemeinschaft zu entziehen.

Zum Abschluss unserer Reise haben wir das “Museum of Jewish Heritage” besucht. Einem Memorial, das sich der Vermittlung von Wissen über den Holocaust verschrieben hat. Besonders berührend war es, dass wir – weit weg von Hamburg im fernen New York – Bilder der brennenden Bornplatzsynagoge sehen konnten.

Ein Zeichen Richtung Zukunft

Am Ende der Reise schmerzt es, dass wir uns in Deutschland all der Vielfalt jüdischer Kultur selbst beraubt haben. Und bei allem, was ich von dieser Reise mitnehme, erfüllt es mich mit Stolz, dass wir in Hamburg mit dem Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge ein Zeichen Richtung Zukunft setzen können. Denn nie wieder ist jetzt!

Die Autorin

Vanessa Mohnke ist seit 2020 Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft und engagiert sich unter anderem in der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Hamburg.

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