“Wir müssen die Zuversicht in uns finden” – Interview mit Albert Wiederspiel

Interview mit dem langjährigen Leiter des Filmfests Albert Wiederspiel, der kürzliche in die SPD eingetreten ist.

Albert Wiederspiel leitete 21 Jahre lang das Filmfest Hamburg, das sich in dieser Zeit zu einem der wichtigsten deutschen Filmfestivals entwickelte und seit 2023 den “Albert-Wiederspiel-Preis” verleiht. Seit Juli ist Albert Wiederspiel Mitglied der SPD Hamburg.

Lieber Albert, willkommen in der SPD! Was war der Impuls, sich gerade jetzt zu einer Partei zu bekennen? Und warum zur SPD?

Grundsätzlich finde ich: Die Zeiten erfordern, dass man in eine demokratische Partei eintritt. Für mich kann es nur die SPD sein, aber ich unterstütze jeden, der einer demokratischen Partei beitritt. Es reicht leider heute nicht mehr aus, nur alle vier Jahre ein Kreuzchen zu setzen. Man muss ein bisschen mehr tun. Es ist selbstverständlich jedem überlassen, was er oder sie unter „mehr“ versteht.

Die ‚Public Opinion‘ der Sozialdemokraten ist aktuell nicht die beste, nicht nur in Deutschland. Daher war es für mich umso wichtiger, die Partei zu unterstützen, die mir am nächsten ist. Das ist die SPD. Abgesehen davon: Es gibt ja kaum eine jüdischere Partei in Deutschland als die SPD! Lassalle war Jude und so hat das deutsche Judentum in der SPD eine lange Tradition.

Du selbst hast schon in Deiner Kindheit Antisemitismus erfahren. Seit dem 7. Oktober flammt der Nahostkonflikt wieder auf, die Gewalt gegen jüdische Menschen in Deutschland nimmt zu. Wie erlebst Du das?

Wir erleben gerade einen Tsunami, das kann man nicht anders nennen. Seit dem 7. Oktober gibt es eine so heftige Welle, die längst die Grenze zwischen Antiisraelismus und Antisemitismus überschritten hat. Der Hamas geht es darum, Juden zu töten! Nicht nur Israelis.

Wir alle kennen die rechten Antisemiten. Aber das sind Leute, die wir hassen, die ich verachte, das sind nicht „unsere“ Leute. Der linke Antisemitismus ist für uns heftiger, weil das Leute sind, mit denen ich mich identifiziere, das sind meine „Freunde“. Deshalb ist das schmerzhaft. Gerade bei den jüngeren „Linken“ habe ich oft das Gefühl, dass sehr viel auf Unwissenheit basiert. Junge Leute, die rumbrüllen „from the river to the sea“; Frag‘ die doch mal welcher River und welche Sea gemeint sind? Wissen die das überhaupt? Ich bin mir nicht sicher. Dann gibt es plötzlich diesen Mythos, die Juden seien „weiße Unterdrücker“, Kolonialisten. Nein! a: die Juden sind nicht nur weiß. Wenn man nach Israel geht, dann sieht man: Es gibt dunkle Juden, helle Juden, es gibt alle Hautfarben. Und b: die Juden haben Palästina nicht kolonial erobert. Es gab immer schon Juden in Palästina und dieses Land wurde uns in 1947 von der Generalversammlung der UN „gegeben“. Das wissen die meisten gar nicht. Das ist alles traurig.

Es gibt auch in Hamburg Bestrebungen, jüdisches Leben im Alltag sichtbarer zu machen. Würde das helfen?

Ich bezeichne mich oft als „Kulturjude“. Mir steht die jüdische Kultur sehr nah. Die Religion – nun ja – das ist für mich lediglich eine Tradition, auf der alles basiert. Aber ich persönlich fühle mich von der Religion nicht angesprochen. Ich finde auch nicht, dass wir noch eine Synagoge in Hamburg brauchen.

Wofür ich aber bin, ist ein jüdisches Museum. Alle Großstädte haben eines. Und gerade Hamburg, das eine bemerkenswerte jüdische Geschichte hat – mit keiner anderen deutschen Stadt zu vergleichen – hat keins. Das ist sehr traurig. Das Erste, was man gegen Antisemitismus tun muss, ist Bildung. Wir müssen den Kindern und Jugendlichen erklären, was das Judentum ist. Im Moment gibt es in Hamburg gar keinen Ort dafür. Wir haben nichts, wo wir Schulklassen hinführen können, um denen das Judentum zu präsentieren. Das fehlt total.

Das Filmfest Hamburg ist unter Deiner Leitung für politisch kontroverse Filme, aber auch für klare Haltung bekannt geworden. Was sind für das SPD-Mitglied Albert Wiederspiel die brennenden Themen unserer Zeit?

Zum einen selbstverständlich die Ukraine-Politik. Das ist für mich der wichtigste Schauplatz, zusammen mit Israel bzw Gaza. Und in beiden Punkten bin ich mit dem Bundeskanzler völlig d’accord.

Migration ist ein Thema, das uns jetzt schon beschäftigt und noch sehr viele Jahre beschäftigen wird. Wir sind am Anfang eines Völkerwanderungsprozesses, aber wir haben keine Politik dafür. Deutschland ist ein sehr großzügiges Land, wir nehmen viel mehr Flüchtlinge auf als alle anderen. Nichtsdestotrotz habe ich das Gefühl, dass da keine Richtung drin ist, kein Profil. Ich glaube, damit müssen wir uns dringend beschäftigen.

Wie siehst Du die SPD in Hamburg?

Die SPD-Tradition ist in Hamburg besonders stark verankert, das merkt man auch. Es ist auch schön, in wie vielen verschiedenen Milieus in Hamburg man die SPD wählt. Mich überrascht es immer wieder, wenn sogar die reichen Reeder SPD wählen, was ich persönlich sehr positiv finde. Ich wollte deshalb unbedingt der Hamburger SPD beitreten. Obwohl ich jetzt in Berlin wohne, ist mein Herz politisch in Hamburg verblieben. Abgesehen davon habe ich eine persönliche Beziehung zu Carsten Brosda, und auch zu Peter Tschentscher. Das sind zwei SPDler, die für mich eine Vorbildfunktion haben.

Wie kann die SPD in dieser von Verunsicherung geprägten Zeit punkten?

Für mich ist die SPD die Partei der Solidarität. Das ist ja das, was wir im Moment am meisten brauchen. Die Gesellschaft wird immer weniger solidarisch. Jeder denkt an sich. Ich habe Angst, dass die Gesellschaft in kleine Gruppen zerbröselt. Deshalb ist eine Partei wie die SPD, in der Solidarität ein Schlüsselwort ist, wichtiger denn je. Wir müssen es irgendwie schaffen, dass die Gesellschaft sich als eine Gruppe sieht und dass die Leute zur Solidarität miteinander zurückfinden.

Kino ist eine Kunstform, die einerseits emotional bewegt, andererseits Probleme in kompakter Form vermitteln kann. Beides scheint – so ein häufiger Vorwurf – der Politik oft abzugehen. Was kann uns Film, was kann uns Kultur in diesen Zeiten mitgeben?

Kunst soll vor allem eins: die richtigen Fragen stellen. Wir sollten bloß keine Antworten erwarten, denn Kunst, die Antworten gibt, ist gefährlich. Kunst soll Fragen stellen und diese Fragen den Leuten quasi implantieren, darum geht es. Das ist für mich der Dialog, vom dem Carsten Brosda so oft spricht: Dass wir uns selbst (und unseren Freunden) die richtigen Fragen stellen. Ob die Politik davon lernen kann? Ich weiß es nicht, hoffe es aber.

Kultursenator Carsten Brosda ermahnt uns in seinem letzten Buch auch dazu, mehr Zuversicht zu wagen: Warum haben wir Grund zur Zuversicht?

Ich bewundere Carsten Brosdas Optimismus. Ich wünschte, ich hätte ihn. Aber eins ist klar: In dem Moment, wo wir keine Zuversicht mehr haben, ist alles verloren. Ich glaube, wir müssen zuversichtlich sein, wir haben keine Wahl. Wir müssen die Zuversicht in uns finden.

Zur Person

Albert Wiederspiel wurde 1960 in Warschau geboren. Aufgrund antisemitischer Ausschreitungen verließ seine Familie 1969 Polen und emigrierte nach Dänemark. Nach dem Studium der Filmwissenschaft in Paris arbeitete Wiederspiel bei verschiedenen internationalen Produktionsfirmen. 21 Jahre lang leitete der das Filmfest Hamburg, das sich in dieser Zeit mit seiner internationalen Ausrichtung und politischen Haltung zu einem der wichtigsten Filmfestivals in Deutschland entwickelte. Seit seinem Ausscheiden im Jahr 2023 wird dort der nach ihm benannte “Albert-Wiederspiel-Preis” verliehen. Albert Wiederspiel ist seit Juli 2024 Mitglied der SPD Hamburg.

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