Unser Kuschu – 65 Jahre jung!

Historischer Vortrag anlässlich des 65-jährigen Jubiläums des Kurt-Schumacher-Hauses von Dr. Holger Martens

Die Hamburger SPD hatte vor 1933 ihren Sitz in der Großen Theaterstraße 44, also am Neuen Jungfernstieg, an der Binnenalster. In der Fehlandtstraße, einer Parallelstraße, befand sich die Redaktion des Hamburger Echos, unserer Parteizeitung. Beide Gebäude, also Parteihaus und Zeitungshaus waren rückwärtig verbunden. Die Nationalsozialisten hatten 1933 die SPD verboten und das Parteivermögen eingezogen. Das Haus wurde dann an andere veräußert.

Nach 1945 hatte die SPD zwar ihren Sitz zunächst wieder in der Großen Theaterstraße 44, aber es gelang offensichtlich nicht, alle früheren Gebäude zurückzuerhalten, sodass nur ein Teil der Parteiorganisation an dem früheren Standort untergebracht werden konnte und die Büros nur angemietet waren. Das führte natürlich zu vielen Problemen bei der Kommunikation und bei der Organisation.

Ein neues Parteihaus musste her

1954 wurde auf dem Landesparteitag ein Initiativantrag beschlossen, der den Landesvorstand aufforderte, Maßnahmen zur Errichtung eines Parteihauses in verkehrsgünstiger Lage zu ergreifen, um aus den unzulänglichen Verhältnissen im Hause Große Theaterstraße 44 herauszukommen. Die Parteimitgliedschaft solle – so beschloss der Parteitag – zu Spenden für die Finanzierung des Baus aufgerufen werden.

Die Wahl fiel auf ein Gelände mit der Adresse Besenbinderhof 10, heute Kurt-Schumacher-Allee 10. Den Straßennamen Kurt-Schumacher-Allee gab es also damals noch nicht, die Umbenennung erfolgte erst später.

Gute Adresse der Arbeiterbewegung

Bei dem Gelände handelte es sich um ein sogenanntes Trümmergrundstück, hier hatte Bans Gesellschaftshaus gestanden, ein bekannter Veranstaltungsort mit großem Saal, das im Krieg zerstört worden war. Es ist davon auszugehen, dass der Ort nicht zufällig gewählt wurde: Der Besenbinderhof steht wie keine andere Straße für die Stärke der Hamburger Arbeiterbewegung. Zum Bahnhof hin befand sich seit der Jahrhundertwende das Gewerkschaftshaus Nummer 56-68, daneben hatte die Groß Einkaufsgesellschaft Deutscher Konsumgenossenschaften (GEG) Besenbinderhof 48-52 ihren Hauptsitz. Das war die Wirtschaftszentrale der Konsumgenossenschaften in Deutschland. Mit ihren 33 GEG-Betrieben versorgte sie in über 9.000 Konsum-Läden etwa 7-8.000.000 Verbraucher. Der Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften hatte seinen Sitz im Besenbinderhof 43. Die gewerkschaftlich-genossenschaftliche Bank für Gemeinwirtschaft saß in der Nr. 40.

Später hatte auch die gewerkschaftlich-genossenschaftliche Lebensversicherung Volksfürsorge (heute Generali) ihren Sitz am Besenbinderhof. Dazu kam noch die Baugenossenschaft freier Gewerkschafter und andere Einrichtungen der Arbeiterbewegung. Die bekannte Hamburger Konsumgenossenschaft Konsum-, Bau-, und Sparverein Produktion – kurz PRO – war vor 1933 Eigentümerin der Nummern Besenbinderhof 15-28, in Nummer 16 befand sich die Sparkasse der PRO. Nach 1945 hatte die PRO ihren Hauptsitz an der Adresse Beim Strohhause 2, also gleich nebenan, dort wo heute Kaufland ist. In dem Hochhaus befand sich das sehr modern gestaltete Kaufhaus der PRO,bei der es sich mit 170.000 Mitglieder um die größte deutsche Konsumgenossenschaft handelte.

Mit dem Parteihaus am Besenbinderhof 10 waren damit praktisch in einer Straße die drei Säulen der Arbeiterbewegung – Partei, Gewerkschaften und Genossenschaften – vereint. Es war die Herzkammer der Arbeiterbewegung. Das Parteihaus wurde zudem auf für die SPD historischen Boden gebaut. Hier in Hammerbrook befand sich der Wahlkreis von August Bebel.

Gründung der Baugemeinschaft Besenbinderhof

Als mit den Vorbereitungen für ein neues Parteihaus begonnen wurde, lag das Ende der NS-Herrschaft gerade einmal zehn Jahre zurück. Die Erinnerung daran, dass die Partei seinerzeit kurzerhand enteignet worden war, war noch wach. Es fand deshalb der Vorschlag Zuspruch, dass nicht die Partei Eigentümerin des Parteihauses sein sollte. So entstand die Idee, einen Verein, den Baugemeinschaft Besenbinderhof e.V., zu gründen. Treibende Kräfte dabei waren die Bergedorfer Sozialdemokraten Caesar Meister und Oswald Paulig. Helmut Frahm, heute stellvertretender Vereinsvorsitzender der Baugemeinschaft, hat ausdrücklich darum gebeten, diese beiden zu erwähnen, da sie sich bis zu ihrem Tod für die Baugemeinschaft und damit für das SPD Haus engagiert haben. Oswald „Ossi“ Paulig wäre im übrigen in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden.

Der Verein baute also das Haus und vermietete es an die Partei. Das ist bis heute so geblieben. In der Vereinssatzung ist im übrigen festgehalten, dass bei einer Vereinsauflösung das Vermögen an die SPD fällt. Darüber, wie die Gesamtfinanzierung am Ende funktionierte, liegen keine Informationen vor.

Spenden aus Partei und Arbeiterschaft

Auf jeden Fall brachte die Partei einen erheblichen Teil auf und gewährte dem Verein einen entsprechenden Kredit. Die Partei rief zu Spendenaktionen auf, um die Finanzierung des Neubaus zu unterstützen. Es wurden Markenwerte für 1,2, 5,10 und 20 DM im Großformat für das Mitgliedsbuch hergestellt. In dem monatlichen Mitteilungsblatt „Der Sozialist“ wurde kontinuierlich über die Spendenaktion berichtet.

Mindestens seit 1955 wurden die Spenden gesammelt, besonders erfreulich war das Ergebnis im Januar 1956 , wo in 14 Distrikten 1.975 DM gesammelt wurden, davon allein 1.085 DM in dem großen Distrikt Barmbek-Nord, im Februar 1956 kamen über 2.000 DM Spenden zusammen.

Dabei spendete nicht nur die Partei. Im März 1956 ging zum Beispiel eine Spende über 3.399 DM der Betriebsgruppe Bauhütte Nord ein. Auch die Betriebsgruppe des Universitätskrankenhaus Eppendorf beteiligte sich mit 30 DM und die Betriebsgruppe Alte Volksfürsorge steuerte 200 DM bei.

In der Berichterstattung wurde auch hervorgehoben, dass die Spendenbereitschaft besonders unter den älteren Genossinnen und Genossen groß war. So wurde berichtet das ältere Mitglieder aus einem Altersheim 470 DM aufgebracht hatten.

Im Dezember 1956 wurde festgestellt, dass der Aufforderung in erfreulichem Umfange Folge geleistet wurde, aber noch erhebliche Beträge fehlten. Das Jahr 1956 kann wohl als das Hauptspendenjahr angesehen werden. Am 19. November 1955 legte Bürgermeister a.D. Max Brauer den Grundstein für das Parteihaus.

Richtfest im Jahre 1956

Gut ein Jahr später – am 13. Dezember 1956 – fand die Richtfeier mit einer Ansprache des Bürgerschaftspräsidenten Adolph Schönfelder statt. Im November 1956 gingen gut 7.000 DM Spendengelder ein, es beteiligten sich zahlreiche Betriebsgruppen, so die Betriebsgruppe Auerdruck, die Betriebsgruppe Bauhütte Nord, die Betriebsgruppe HHLA, die Betriebsgruppe IG Bau die Betriebsgruppe Produktion und gut 3.000 DM hatte das Personal des Parteibüros gespendet.

Insgesamt wurden 1956 über 91.000 DM gespendet. 1956 verkaufte die Landesorganisation das Landheim Mudder Rieck in Fischbeck bei Neugraben für 263.000 DM, 38.000 DM gingen an den Parteivorstand, der Rest dürfte für den Neubau des Parteihauses verwendet worden sein. Das Landheim wurde vor 1933 von der Sozialistischen Arbeiterjugend verwaltet und war ein bekanntes Ausflugs- und Ferienziel.

Es heißt, dass die Glasbausteine von den Mitglieder gespendet worden sein sollen. Dazu konnte nichts gefunden werden. Es ist davon auszugehen, dass das Jahr 1956 das größte Spendenaufkommen hatte, auch wenn 1955 und auch 1957 gesammelt wurde. Auch wenn insgesamt deutlich über 100.000 DM, vielleicht 150.000 oder gar 200.000 DM zusammengekommen sein mögen, die Spenden konnten jedoch nur einen kleinen Teil der Gesamtkosten abdecken. Der Bau alleine kostete 1,7 Million DM und hatte eine Nutzfläche von 2.900 m² Nutzfläche, hinzu kamen Grundstück und Ausstattung des Gebäudes, die Gesamtkosten beliefen sich auf rund 2 Millionen DM, für die Ausstattung der von der Partei genutzten Räume wurden noch einmal 50.000 DM ausgegeben.

29. Juni 1957: Das Kuschu wird eingeweiht

Am 29. Juni 1957 – also vor 65 Jahren – war es endlich soweit. Das neue Parteihaus wurde eingeweiht. Zur Einweihung kam natürlich der Parteivorsitzende Erich Ollenhauer. Dass das Parteihaus den Namen des fünf Jahre zuvor verstorbenen Parteivorsitzenden Kurt Schumacher tragen sollte, hatte der Vorsitzende der Landesorganisation, Karl Vittinghoff, bereits auf der Richtfeier verkündet.

Entworfen haben das Haus die Architekten W. Sottorf und W Richter. Heute steht das Gebäude unter Denkmalschutz. Es zeichnet sich besonders durch die klare Struktur aus. Das runde Treppenhaus mit den Glasbausteinen sorgt für viel Licht. Treppenhaus, Lift und Toiletten sind in allen Etagen den Arbeitsräumen und Sitzungssälen vorgeschaltet. Das Gebäude besteht aus sechs Geschossen und zwei Kellergeschossen. Größere Veranstaltungssäle waren offensichtlich noch in vorgesehenen Anbauten geplant, die aber nicht realisiert wurden.

Vorbildlich ausgestattete Versammlungsräume

Ab dem 1. Juli 1957 waren im Kurt-Schumacher-Haus die politische Abteilung der Landesorganisation, das Organisations- und Propagandasekretariat, das Betriebsgruppensekretariat, das Frauensekretariat sowie die Kassen- und Vermögensverwaltung untergebracht.

Im Haus befanden sich auch das Büro der Hamburger Bundestagsabgeordneten, die Arbeitsgemeinschaft ehemals verfolgter Sozialdemokraten (AvS), der sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS, Gruppe Hamburg), die Jungsozialisten in der SPD Hamburg, das Büro des Kreises eins (Bezirk Hamburg-Mitte), das Büro des Bezirks Hamburg Nordwest der SPD und der Landesverband der Sozialistischen Jugend Deutschlands – Die Falken.

Im Jahresbericht 1956/57 heißt es: „Es sind vorbildlich ausgestattete Versammlungsräume und Sitzungszimmer verschiedener Größe vorhanden, ein Filmraum, ein Vorführraum, Keller und Garagen. Am 3. März 1958 eröffnete eine Zweigstelle der Auer-Buchhandlung im Kurt Schumacher Haus. In Verbindung mit der Auer Bibliothek, die bisher im Pressehaus untergebracht war, einem Reisedienst und einer Schallplattenabteilung werden unsere Freunde hier neue Möglichkeiten der sinnvollen Gestaltung ihrer Freizeit geboten.“

Die Buchhandlung befand sich wohl auf der linken Seite, auf der rechten Seite gab es eine Gastwirtschaft. 1959 umfasste die ins Kurt Schumacher Haus verlegte Auer Bibliothek 13.000 Titel.

Ab 1991 befand sich im Erdgeschoss das zentrale Bürgerbüro der SPD, heute gibt es dort eine Anwaltskanzlei und einen Co-Workingspace für ASF, AFA und 60plus.

Anfangs war also fast das gesamte Haus von der Partei belegt, damals gab es allerdings auch noch über 32.000 Mitglieder. Aber es gab auch schon früh externe Mieter, so z.B. der Verein Hamburger Heimverwaltung e.V. (Kupferhof). Spätestens seit 1960 war die IG Metall Mieter im Hause. Heute ist die Gewerkschaft größter Mieter. Das Haus wurde mehrfach umgebaut und modernisiert, aber vieles ist dank Denkmalschutz noch original.

Mit dem neuen Haus hatte die SPD auf jeden Fall einen guten Start. Schon wenige Wochen nach dem Einzug konnte die Hamburger SPD einen Wahlerfolg bei der Bundestagswahl erzielen und bei der Bürgerschaftswahl am 10.11.1957 kam die SPD auf 53,9 % der Stimmen. Der sogeannte Hamburg-Block aus CDU, DP und FDP wurden nach vier Jahren abgelöst und Max Brauer wurde wieder erster Bürgermeister.

Seither sind hier viele Siege gefeiert und wichtige Entscheidungen getroffen worden. Es gab aber auch Niederlagen und weniger erfreuliche Dinge zu verarbeiten – darauf einzugehen würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen.

Stolpersteine, Kunst und Gedenktafeln

Wer auf das Kurt-Schumacher Haus zugeht, findet vor der Stufe drei Stolpersteine, die an Wilhelm Bock, Ludwig Wellhausen und Karl Meitmann erinnern. Wilhelm Bock lebte in Eppendorf und war vor 1933 Mitglied des Landesvorstands. Er unterhielt nach der Machtübernahme Verbindungen zu Widerstandsaktivisten und erklärte sich im März 1938 bereit, illegales Material aus Dänemark in Empfang zu nehmen. Durch Gestapo-Spitzel wurde die Aktion verraten und Bock verhaftet. Da ihm kaum etwas nachzuweisen war, wurde er zu einer vergleichsweisen geringen Strafe von einem Jahr und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Nach Verbüßung der Haft wurde er aber nicht freigelassen, sondern ins KZ Sachsenhausen überführt. Dort starb er am 21. August 1940.

Ludwig Wellhausen war von 1926 bis 1933 SPD Parteisekretär in Hamburg und übernahm im Januar 1933 die Funktion eines Bezirkssekretärs der SPD im Bezirk Magdeburg-Anhalt. Er beteiligte sich am Widerstand. Ludwig Wellhausen wurde am 12. Januar 1939 in Magdeburg verhaftet und schwer misshandelt. Die Beweise gegen ihn waren nur dürftig, sodass er am 9. August 1939 ohne Gerichtsverfahren ins KZ Sachsenhausen überführt wurde und dort am 4. Januar 1940 verstarb.

Mit dem Stolperstein für Karl Meitmann wurde im März 2022 ein Sozialdemokraten geehrt, der die NS-Zeit überlebt hat. Karl Meitmann war von 1928-1933 Landesvorsitzender der SPD in Hamburg. Wie kaum ein anderer, hatte er 1933 den Mut, den Nationalsozialisten die Stirn zu bieten. Er wurde im März 1933 für mehrere Tage verhaftet und dann nochmals im Juni für mehrere Monate. Als er Ende Oktober 1933 entlassen wurde, wurde ihm zur Auflage gemacht, die Stadt innerhalb von 24 Stunden zu verlassen. Karl Meitmann kehrte 1945 nach Hamburg zurück und übernahm schon Mitte Juli 1945 die Leitung des provisorischen SPD Landesvorstands. Bis 1952 blieb er Landesvorsitzender der SPD. Er war von 1946-1949 Bürgerschaftsabgeordneter und gehörte von 1949-1961 dem Deutschen Bundestag an.

Dann gibt es im Eingangsbereich ein großflächiges Keramik-Mosaik-Bild des Hamburger Bildhauers Werner Michaelis, das in bunten Farben die Arbeit, die Freude und das Leben der Menschen versinnbildlicht.

Wenn man an der Pförtnerloge vorbei ins Foyer tritt, geht man auf eine Büste von Kurt Schumacher zu. Sie ist ein Geschenk des Parteivorstands zur Eröffnung des Hauses.

Und an der Seite bei den Fahrstühlen um die Ecke hängt eine Tafel, die dem Andenken der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft 1933-1945 gewidmet ist.

Es lohnt sich, einmal vorbeizuschauen!

Der Autor

Der Historiker Dr. Holger Martens gehört zu den Gründern des Arbeitskreises Geschichte bei der Landesorganisation Hamburg und ist stellvertretender Vorsitzender des Arbeitskreises ehemals verfolgter und inhaftierter Sozialdemokraten sowie Vorsitzender der Historischen Kommission Hamburg.

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