Mit dem Fahrrad zum Integrationskurs

Westwind e.V. verteilt kostenlose Fahrräder an geflüchtete Menschen in Hamburg. Die Initiatoren kamen 2015 bei einem Küchengespräch auf die Idee.

Fahrrad Westwind Hamburg

Das Fahrrad: kein anderes Verkehrsmittel ist weltweit so verbreitet und so beliebt. Rund eine Milliarde Exemplare sollen mittlerweile über Straßen, Steine, Sand und Felder auf der ganzen Welt rollen. Die Anzahl der Pkws liegt gerade einmal bei knapp der Hälfte. Die Gründe für den Erfolg sind schnell zusammengefasst: Fahrräder sind günstig, haltbar, effizient und einfach zu bedienen.

Warum erzählen wir das Ganze? Weil Fahrräder im Zentrum dieser Geschichte stehen. Ausgangspunkt ist ein Tag irgendwann Ende Juli, Anfang August 2015. Damals hatte die Flüchtlingskrise ihren Höhepunkt erreicht, täglich strömten Hunderttausende Menschen über die Grenzen nach Europa, einige Tausend landeten auch in Hamburg. An besagtem Tag saßen Carmen Wilckens und Christian Großeholz in der Küche, tranken ein Glas Wein und unterhielten sich über die aktuelle Lage. „Wir haben darüber gesprochen, dass die Geflüchteten vor allem in Notunterkünften in Gewerbegebieten untergebracht wurden“, sagt Carmen. „Nirgendwo sonst gab es Platz, um die Wohncontainer aufzustellen. Zum damaligen Zeitpunkt hatten die Geflüchteten noch keinen Fahrschein für die Öffentlichen Verkehrsmittel bekommen. Die saßen dann da, und hatten überhaupt keine Möglichkeit sich in Hamburg zu bewegen. Da hat dann Christian spontan die Idee in den Raum geworfen, man müsse denen halt ein paar Räder schrauben.“

Von der Idee zum Verein

Mit „Schrauben“ und Fahrrädern kennt sich Christian Großeholz aus. Er ist von Beruf Fahrradmechaniker und arbeitet bei “Hotops Radwelt” in Schenefeld. Es wuchs zusammen, was zusammengehörte: Während Christian über das nötige technische Know-how verfügte, kümmerte sich Carmen ­– als engagierte Politikerin bei den GRÜNEN Hamburg-Nord gut vernetzt – um die Organisation. Man rief eine Facebook-Gruppe ins Leben, taufte sich auf den Namen „Westwind“ und kontaktierte von überallher Menschen in Hamburg, die möglicherweise mithelfen könnten. „Es haben dann tatsächlich erst einmal ganz viele Leute spontan Räder gespendet“, erzählt Carmen. Ohne irgendwelche festen Räumlichkeiten mussten die Fahrräder zunächst in Kellern und Garagen eingelagert werden, bevor sie repariert an die Geflüchteten verteilt werden konnten.

Carmen Wilckens und Christian Großeholz hatten im Sommer 2015 die Idee, für Geflüchtete Fahrräder zu organisieren. Foto: Jonathan Gruber.

Im Dezember 2015, die spontane Idee ein paar Fahrräder zu verteilen, hatte sich mittlerweile zu einem ausgewachsenen Projekt entwickelt, gründeten die Initiatoren den Verein Westwind-Hamburg e.V.. „Wir haben gemerkt, dass wir Geld brauchen. Wir hatten nicht genug ausrangierte Teile, um die Fahrräder wieder fit zu kriegen. Aber um Geld von der Stadt oder dem Bezirk zu bekommen, ist es besser, wenn man ein gemeinnütziger Verein ist, mit einer richtigen Adresse und einem richtigen Namen“, sagt Carmen.

Der Plan ging auf und Westwind wurde unter anderem von der Bürgerschaft Hamburg finanziell unterstützt. Im Januar fand sich dann auch endlich eine feste Unterkunft für den Verein. Auf dem Parkplatz der Rindermarkthalle in St. Pauli wurden zwei alte, unbenutzte Bürocontainer aufgestellt. Fortan hatten die ehrenamtlichen Westwind-Unterstützer einen Platz zum Herrichten der Fahrräder und die Geflüchteten eine feste Abholstelle.  Mittlerweile darf der Verein auch ein paar alte Container vom FC St. Pauli als Lagerstädte nutzen, welche direkt nebenan stehen.

“Ich brauche ein Fahrrad, ich muss irgendwie zu meinem Integrationskurs kommen.”

Am Anfang herrschte regelrechtes Chaos an den Ausgabetagen der Spendenräder. „Die Geflüchteten kamen an und standen dann in unseren kleinen Containern, zwischen Fahrrädern und Werkzeug und wir hörten von allen Seiten ,ich brauche‘, ‚ich möchte‘, ‚ich nehme das noch mit‘“, erzählt Carmen. Irgendwann war die Nachfrage so groß, dass der Verein eine Warteliste einrichtete. Namen um Namen listeten sich untereinander auf und schließlich gab es Wartezeiten von fast acht Monaten für ein Spendenrad.

Jeden Samstagnachmittag verteilt Westwind auf dem Parkplatz der Rindermarkthalle Spendenräder an Geflüchtete. Foto: Felix Zohlen.

Die Geflüchteten nutzen die Fahrräder, um zu ihren Deutschkursen zu kommen, um ihre Kinder in den Kindergarten und in die Schule zu bringen oder um schlicht einkaufen zu gehen. Dringliche Anfragen erreicht Westwind vor allem, wenn es um Integrations- und Deutschkurse geht, welche essenziell wichtig sind für die Geflüchteten, wollen sie in Deutschland eine Ausbildungsmöglichkeit oder einen Job finden. Anfangs wurden solche Kurse direkt in den Unterkünften angeboten, mittlerweile liegen die Kursorte aber oftmals mehre Kilometer entfernt.

Die Zukunft von Westwind

In diesem Sommer feierte Westwind sein zweijähriges Bestehen. „Wir haben eine ziemlich feste Planung bis Ende 2018, dadurch, dass wir bis dahin von der Bürgerschaft unterstützt werden. Danach müssen wir gucken, wie wir uns finanzieren, aber wir wollen hier unbedingt weitermachen“, sagt Christian. „Durch die Hilfe des Integrationsfonds konnten wir eine zweite Werkstatt aufbauen, mit fließend Wasser, Strom, Heizung und Toiletten. Wir konnten einen Mitarbeiter einstellen und wir bieten jetzt Praktika für Geflüchtete in der Werkstatt an“, sagt Carmen. Ziel sei es mit den Praktika eine erste Berufsausbildung zu ermöglichen, sodass einige Geflüchtete anschließend eventuell reguläre Jobs in Fahrradwerkstätten in Hamburg finden.

Westwind hat das Fahrrad zu einem erfolgreichen Integrationsmittel gemacht: Das Fahrrad als Chance, als ein Stückchen Freiheit für Geflüchtete, um Deutsch zu lernen, um einen Job zu finden oder um einfach ihre neue Heimat kennenzulernen. Parallel zu Westwinds Jubiläum feiert das Fahrrad in diesem Sommer seinen 200. Geburtstag: Im Sommer 1817 fuhr Karl Drais in Mannheim zum ersten Mal auf einer Laufmaschine. Seine Erfindung bildete die Basis für die Entwicklung des heutigen Fahrrads.

Westwind e.V. freut sich immer über tatkräftige Unterstützung. Wer Fahrräder reparieren kann, bei der Auslieferung von Fahrrädern helfen will oder Lust darauf hat, Radtouren zu organisieren ist herzlich willkommen. Carmen und Christian kontaktiert man am besten über die Facebook-Gruppe oder per Mail unter info@westwind-hamburg.de.

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