In Deutschland zu Hause

Eine persönliche Flüchtlingsgeschichte – Bilata Suleiman erzählt über ihre Erfahrungen und ihr Leben in Deutschland.

Bilata Suleiman

Ich heiße Bilata Suleiman. Ich bin ein Flüchtlingskind. Meine Geschichte beginnt in Syrien. Als erstes Kind kurdischer Eltern bin ich 1990 in einem kleinen Dorf namens Drejik, in Qamischli, im Nordosten des Landes geboren.

Kurdische Kindheit in Syrien

Bilata Suleiman
Als 2-jährige in Syrien

Jegliche Erinnerung an meine Kindheit in der arabischen Republik sind verblasst. Lediglich durch die Erzählungen meiner Eltern kommen vereinzelte Bilder wieder in mein Gedächtnis, die ich wie kleine Puzzleteile zusammenfüge, um mir eine komplette Szene vor Augen führen zu können. Ich war ein fröhliches und ruhiges Kind, sagt meine Mutter. Und aufgeweckt. Ich besuchte bereits im Alter von fünf Jahren die Schule, in der auf Arabisch, der Amtssprache in Syrien, gelehrt wurde. Aber ich bin ein kurdisches Kind. Die Kurden sind mit weltweit über 30 Millionen Menschen das größte Volk, das kein eigenes Land hat. Aber dafür viel Herz, Verstand und den Drang, für die Freiheit und Demokratie zu kämpfen. Das zeichnet meine eigene Persönlichkeit aus.

Flucht mit sechs Jahren

Im Jahr 1996, da war ich keine sechs Jahre alt, bin ich mit meinen Eltern und zwei Geschwistern vor den politischen Unruhen unter Herrschaft des damaligen Präsidenten Hafiz al-Assad geflohen. Heute verbreitet sein Nachfolger und Sohn, Baschar, Angst und Terror im eigenen Land, tötet unschuldige Menschen und zwingt Tausende zur Flucht. Wir wollten ein besseres Leben haben und eine gute Bildung genießen. Deshalb begann für uns ein neues Leben in Deutschland. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie die Reise nach Deutschland verlief, aber erschöpft war ich allemal.

Ankunft in Deutschland

In Deutschland ist es etwas kälter. Es gibt nicht all die Früchte, die ich in Syrien gerne gegessen habe, aber: Es ist sicherer für uns. In verschiedenen Orten in Deutschland sind weitere drei Geschwister von mir geboren. Wir waren so gut wie in fast allen Bundesländern unterwegs. Angekommen sind wir in Halle an der Saale, wo wir unsere erste Zeit als Flüchtlinge verbracht haben. Meine Kindheit begann allerdings erst richtig im baden-württembergischen Heilbronn. Hier war es – so mein persönlicher Eindruck – viel wärmer als im Osten des Landes. Und es gab viele leckere Weintrauben. Die dunkleren habe ich als Kind besonders geliebt.

Faszination deutsche Sprache

Ohne ein Wort Deutsch sprechen zu können, kam ich direkt in eine deutsche Klasse. Ich war verärgert darüber, weil ich schlechte Noten hatte. Heute jedoch bin ich dankbar dafür, in einer normalen Klasse mit deutschen Schülern aufgenommen worden zu sein. Denn je schlechter die Noten waren, umso motivierter war ich, mich in den Fächern zu verbessern. Es hat mir sehr geholfen, mit deutschen Mitschülern zu lernen. Sie wurden meine Freunde. Und tatsächlich: Aus ausreichend wurde ein befriedigend und dann endlich gut. Ich erhielt sogar eine Belobigung für hervorragende Leistungen in der 5. Klasse. Das machte mich sehr stolz. Ich fing an zu schreiben. Ich war so fasziniert von der Vielfalt der deutschen Begriffe, dass ich Lust bekam, mit Ihnen zu spielen. Aus ersten Sätzen entstanden bald Gedichte und anschließend romantische Kurzgeschichten. Das Schreiben ist meine größte Leidenschaft.

Abitur in Herford

Die nächste Station für meine Familie war Bad Salzuflen. Die Trennung von meinen deutschen Freunden aus Baden-Württemberg war schmerzhaft, aber da musste ich durch. In der Kurstadt Bad Salzuflen kämpfte ich mich von der Hauptschule in die Realschule, um die Mittlere Reife mit Qualifikationsvermerk erlangen. Neben der Schule jobbte ich in der Gastronomie, um finanziell unabhängig zu sein. Später schrieb ich als Freie Mitarbeiterin für Die Lippische Landeszeitung, was mir enorm viel Freude bereitete, da ich mein Hobby, das Schreiben, zum Nebenberuf machen konnte. Schließlich wollte ich mehr. Ich wollte das Abitur anstreben. Und so ging ich in die Nachbarstadt Herford zur Gesamtschule, um dort das Abitur zu absolvieren. Im Frühjahr 2010 war es soweit: Die Allgemeine Hochschulreife bestanden mit der Note 1,6. Ich wäre nicht ich, wenn ich es beim Abitur belassen hätte. Ich wollte anders sein als andere junge Menschen mit Migrationshintergrund, ich wollte mich weiterbilden und für meine hoch angesetzten Ziele kämpfen. Ich war hochmotiviert und wollte studieren: Philosophie und Germanistik. Das waren die Bereiche, die mich in meiner Schulzeit besonders geprägt und interessiert haben. Ich wollte mehr von Deutschland entdecken.

In Hamburg angekommen

Hamburg – zu Dir wollte ich. Also bewarb ich mich. Noch bevor ich die Zusage hatte, zog ich im Sommer 2010 in die Hansestadt und absolvierte zunächst für drei Monate ein freiwilliges Redaktionspraktikum für eine Modezeitschrift in der Nähe der Alster, bevor ich im Herbst mit dem Studium an der Universität Hamburg begann. Das ist das erste Mal, dass ich mein Elternhaus verlassen habe. Im Süden Hamburgs, in Harburg, bin ich angekommen und fühlte mich sofort wie zu Hause. Ich war glücklich, den Weg eingeschlagen zu haben, ein neues Kapitel zu beginnen und für meine Zukunft arbeiten zu können. Ich habe meine Studienzeit sehr genossen. Auch hier gehörte ich zu den wenigen Migranten, die Philosophie studierten. Das motivierte mich, nach dem Bachelorabschluss weiterzumachen. Ein Professor in der Philosophischen Fakultät hat mich besonders beeindruckt und so hatte ich viel Freude am Studium, war aber dennoch glücklich, die Universität mit dem Master of Arts in der Tasche verlassen zu dürfen. Ich hatte bereits an eine Promotion gedacht, entschied mich aber, zunächst in die Arbeitswelt einzusteigen. Mit Erfolg: Ehe ich mein Masterzeugnis in der Hand hatte, wurde ich als Sozialarbeiterin für das Deutsche Rote Kreuz in einer Einrichtung für Asylsuchende angestellt.

Zu Teil 2: Etwas von meinem Glück zurückgeben

Die Autorin

Bilata Suleiman ist zubenannte Bürgerin in der Bezirksversammlung Harburg und im Ausschuss für Inneres, Bürgerservice, Verkehr aktiv. Sie hat an der Universität Hamburg ihr Germanistik- und Philosophiestudium erfolgreich mit dem Master abgeschlossen und arbeitet derzeit als Sozialarbeiterin in einer Einrichtung für Asylsuchende.

4 Gedanken zu „In Deutschland zu Hause“

  1. Hallo Bilata, super. Mir kam spontan die Vorstellung, dass du auch eine gute Lehrerin wärst. Denk mal drüber nach…….

    Herzliche Grüße Günter Frank

    1. Lieber Günter,

      es freut mich, dass dir mein Text gefallen hat.
      Ich kann mir gut vorstellen, als Lehrerin zu arbeiten. Vielleicht können wir uns ja einmal zu einer Beratung treffen?

      Liebe Grüße
      Bilata

  2. Hallo Bilata,
    ich bin davon überzeugt Das Du eine sehr gute Lehrerein werden würdest.
    So wie Du dich hoch gearbeitest hast,finde ich das auch Deine Eltern sehr stolz sein
    können.
    Viele Grüße
    Hans

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