Der Journalist aus Damaskus

Im Februar 2017 gründete Hussam Al Zaher das Onlinemagazin „Flüchtling“. Mit seiner Berichtersattung will er Spannungen zwischen verschiedenen Kulturen abbauen.

Gruppenbild Redaktionsteam "Flüchtling"

Stell Dir vor Du fliehst aus Deiner Heimat, weil dort Krieg herrscht. Du lässt alles hinter Dir zurück und schlägst Dich durch, bis Du irgendwann in einem fernen und fremden Land ankommst.

Du beginnst, die Menschen in Deiner neuen Heimat zu beobachten. Dir fällt auf, dass sie sich mehr oder weniger in drei unterschiedlich große Gruppen einteilen lassen: Gruppe eins beinhaltet diejenigen, die Dich von Anfang an mit offenen Armen aufgenommen haben. Die Dir helfen, die fremde Sprache zu lernen, Dir eine Unterkunft besorgen und sich um Dich kümmern. Die Menschen in Gruppe zwei erblickst Du in der Regel nur aus der Ferne. Selten kommst Du mit Ihnen ins Gespräch, aber Du merkst, wie sie Dich mustern und siehst ab und an die Angst und Sorge in ihren Blicken. Und dann ist da die dritte Gruppe an Menschen. Von ihnen wirst Du offen abgelehnt. Sie stehen Dir grundsätzlich feindselig gegenüber und wünschen sich scheinbar nichts sehnlicher, als dass Du so schnell wie möglich aus ihrem Heimatland verschwindest.

Seit Deiner Ankunft in dem neuen Land spürst Du, wie die Stimmung unter den Einheimischen knistert. Es gibt vermehrt Spannungen, vor allem zwischen den Vertretern der Gruppe eins und den Vertretern der Gruppe drei. Es trifft Dich, dass Du der Grund für diese Spannungen sein sollst. Du bist gerade aus einem Land geflohen, indem sich die Bewohner so sehr zerstritten haben, dass sie anfingen, sich gegenseitig zu ermorden. Und jetzt sollst Du der Auslöser dafür sein, dass auch in dem neuen Land ein Spalt durch die Bevölkerung läuft? Was kannst Du dagegen tun?

Hussam Al Zaher hatte die Idee für ein Online-Magazin. Er floh aus vor dem Krieg in Syrien nach Deutschland und ist ein Journalist aus Damaskus. Am 14. Februar 2017 gründete Hussam Flüchtling – Das Magazin für multikulturellen Austausch. „Wir arbeiten unter dem Motto: Mit Menschen, für Menschen, von Menschen“, sagt Hussam. Es ähnelt schon fast einem Pitch für ein Start-up, wenn man Hussam nach seiner Idee hinter seinem Magazin befragt. Man merkt, wie häufig er schon eine Antwort auf die Frage geben musste: Dann, wenn er versucht, neue Mitstreiter für sein Projekt zu finden oder wenn mal wieder ein Journalist daherkommt und über ihn und das Magazin berichten will. Hussam möchte den Deutschen vermitteln, dass die syrische und die deutsche Kultur zwar durchaus verschieden sind, dass das aber ein friedliches Zusammenleben nicht verhindert. „Wir wollen mit den Deutschen diskutieren. Wir wollen, dass sie uns kennenlernen. Wir sind vor dem Krieg geflohen und wünschen uns auf der Welt nur Frieden“, sagt Hussam.

Alle für Hussam

Sieben Monate nach der Gründung ist das Förderprogramm vom Verein leetHub St. Pauli e.V. für das Magazin Flüchtling ausgelaufen. Der NDR, DIE ZEIT und Hamburg 1 haben gleich zu Beginn über Hussam berichtet, damals war das Magazin vor allem eine tolle Idee, jetzt geht es verstärkt darum, die Idee auch erfolgreich umzusetzen. Unterstützt wird Hussam von zahlreichen Menschen die sich ehrenamtlich für das Projekt engagieren. Da ist zu allererst Babette Hnup. Die Freie Journalistin produziert unter anderem Filme für das öffentlich rechtliche Fernsehen. Sie kennt Hussam seit über einem Jahr. „Wir haben uns über die Initiative Start with a Friend kennengelernt, welche Geflüchtete und Locals zusammenbringt. Damals hat mir Hussam von seiner Idee, von seinem Vorhaben erzählt und hat gefragt, ob ich ihn unterstützen kann. Seitdem bin ich dabei“, sagt Babette.

An dem Freitag, Mitte September, an dem ich eine Redaktionssitzung des Flüchtling-Magazins besuche, ist Babette die Einzige professionelle Journalistin aus Deutschland vor Ort. Ansonsten sind da beispielsweise Julia von Weymarn, die Geschäftsführerin von leetHub ist, oder die Rechtsanwältin Angelika Willigerod-Bauer, Mitbegründerin der Initiative Start with a Friend. Peer Fischer ist Kommunikationsdesigner und baute die Website des Magazin Flüchtling und Sook-Thing Wong arbeitet hauptberuflich in der Integrationsarbeit mit Flüchtlingen. Was alle Personen vor Ort verbindet – insgesamt sind es elf – ist ihr Kontakt zu Hussam.

Neben Hussam nehmen drei weitere Syrer an der Redaktionssitzung teil: Sein Bruder Ahmad Al Zaher, der ebenfalls Journalist ist, Kenan Darkhabani, der wie Hussam und Ahmad aus Damaskus stammt und dort Journalismus und Medien studierte – er lernte Hussam an der Hamburg Media School kennen – und zuletzt Moaayad Audeh, der an einer Uni in Syrien Wirtschaft studierte und von sich sagt: „Ich habe viele Ideen, deshalb habe ich Lust zu schreiben.“

Besuch bei der AfD

Die Redaktionssitzung ist kunterbunt und schwankt zwischen inhaltlichen Themen, organisatorischen Punkten und Grundsatzdebatten hin und her. Mal geht es um die Frage, wie lang die Texte auf der Website durchschnittlich sein sollen („Was will unser Publikum eigentlich lesen?“), dann berichtet Moaayad von einem Berlin Besuch und einem Treffen mit einer Dame von Facebook, die angeboten habe kostenlos Werbung für das Magazin Flüchtling auf der Plattform zu schalten. Besonders interessant wird es, als Thing von ihrem Besuch einer Veranstaltung der AfD in Hamburg erzählt: „Ich kann nun nachvollziehen, warum sich so viele Menschen von denen überzeugen lassen. Ich bin da mit großer Skepsis hingegangen, aber nach einer halben Stunde habe ich angefangen mich sicher zu fühlen.“ Thing beschreibt, wie rhetorisch geschickt die Podiumsredner es schafften Angst vor den „Linken, da draußen“ unter den Anwesenden zu schüren und wie das ein Gefühl der Gemeinschaft und des Zusammenhalts hervorrief. „Es war wie in diesem Buch, Die Welle“, sagt Thing. „Ich möchte darüber schreiben, wie schnell man seine Denkweise anpasst. Man wird plötzlich Teil der Gruppe.“

Auf Things Bericht hin bricht unter den Anwesenden eine intensive Diskussion über den Umgang mit Parteien – und der AfD im Besonderen – im Magazin Flüchtling aus. Nur die Syrer halten sich merklich zurück. Mehr noch, einmal äußert Hussam sogar Verständnis für die Sorgen der AfD-Anhänger: „Die Medien machen den Menschen in der AfD Angst.“ Daraufhin erzählt Babette von einer Veranstaltung, die sie vor einiger Zeit zusammen mit Hussam besucht habe. Dort wäre ein Mann gewesen, der ausschließlich darüber gesprochen habe, wie die Geflüchteten die Sicherheit der Hamburger bedrohen. „Ich konnte mir den Kram echt nicht anhören, das hat mich richtig mitgenommen“, sagt Babette. „Aber Hussam hat mit ihm diskutiert, der hatte richtig Spaß daran.“

Anschließend wendet sich das Gespräch eher organisatorischen Fragen zu. Es wird ein Filmabend anlässlich des Gründungsjubiläums des Magazins geplant (immer am 14. eines Monats) und Julia erzählt ausführlich von ihrer Idee eines Adventkalenders, der mittels kultureller Veranstaltungen den Austausch und Dialog zwischen unterschiedlichen Religionen fördern soll. Man merkt, dass gerade in solchen Aktionen die Stärke vieler der sozial engagierten Mitstreiter des Magazins Flüchtling liegt. Hussam kümmert sich dagegen vor allem um die inhaltlichen Themen. Es wird sich in den nächsten Monaten zeigen, ob es diese Mischung zum Erfolg bringt. Hussams Ziel ist es, irgendwann hauptberuflich von der Produktion seines Magazins Leben zu können.

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